Freitag, 6. Juli 2007

Abstimmungsverfahren in der EU

Ich habe lange Zeit und sehr intensiv gegen das von den Polen vorgebrachte Abstimmungsverfahren in der EU gewettert. Leider musste ich heute feststellen, dass ich das nicht gemacht habe, weil das Abstimmungsverfahren unfair waere, sondern weil ich masslos von den Medien manipuliert wurde. Wie uebrigens so viele von uns.
Das jetzt von Polen eingebrachte Abstimmungsverfahren ist nicht eine neue Erfindung der Polen. Es ist ein wissenschaftlich begruendetes gerechtes Verfahren, wenn man jedem EU Buerger ein gleiches Stimmrecht geben will. Entsprechend mathematischen Herleitungen, die bereits 50 Jahre alt sind, gibt es jedem Menschen in einem Vielstaatensystem den gleichen sogenannten Stimmeneinfluss (voting power). Wenn eine Menge von Menschen in zwei Lager geteilt wird, hat der letzte verbleibende Buerger die Entscheidungsmacht. Stimmeneinfluss bedeutet nun, wie diese Entscheidungsmacht verteilt ist. Das heisst, wie oft hat eine Person die Entscheidungsmacht im Vergleich zu einer anderen bei allen moeglichen Abstimmungskonstellationen. Im Idealfall ist dies immer "1", womit beide Personen den gleichen Stimmeneinfluss haetten.
In einer homogenen Menge an Menschen, ist dieses trivial. Mit gleichen Individualstimmrecht, ist die Forderung immer erfuellt und der Stimmeneinfluss immer gleich. Wuerfelt man allerdings eine komplexe Menger verschiedener Gruppen zusammen, die durch Representanten vertreten werden, wird das Problem ungleich komplexer. Im EU Parlament gibt es 134 Millionen verschiedene Stimmenkonstellationsmoeglichkeiten. Wobei jede Stimme ein anderes Stimmengewicht ausmacht, da die Staaten ungleich gross sind. Wie gross das Stimmengewicht sein muss, damit jeder Buerger mit gleichem Gewicht resultiert, ist nun die komplizierte Fragestellung.
Das Gewicht jedes einzelnen Buergers bei der Zusammenfassung in einer grossen Gruppe, die eine Stimme repraesentiert, ist nicht proportional zur Gruppengroesse - wie man das intuitiv annehmen wuerde - sondern zu der Quadratwurzel der Gruppengroesse. Somit ist das vorgeschlagene Quadratwurzelverfahren das wissenschaftlich begruendete gerechteste Verfahren, um jedem EU Buerger gleiches Gewicht zu geben, da dieses Verfahren die Einwohnerzahl der Staaten genau so beruecksichtigt, um das Stimmengewicht in einen linearen Zusammenhang mit der Entscheidungsmacht des Einzelnen zu stellen.
Hinzu kann noch ein politischer Wille - zum Schutze der kleineren Staaten beispielsweise - addiert werden, indem die Mehrheitsschwelle von 50% auf einen groesseren Teil angehoben wird. Basierend auf den Einwohnerverhaeltnissen der jetzigen EU stellt 62% ein angemessener Schwellenwert fuer den Minderheitenschutz dar. Dieser schuetzt nicht Polen als mittelgrossen Staat, sondern Staaten wie Luxemburg und Malta.
Die wissenschaftlichen Informationen sind hier und hier zu finden.
Ich kann dennoch die Anstrengungen unserer Bundeskanzlerin verstehen, die einen solch komplexen Pot einfach nicht mehr auf machen will. Man kann in der EU niemals voraussehen, wie man anschliessend den Deckel wieder drauf bekommt. Daher fanden die Herren aus Polen einfach kein Gehoer mehr und wurden ausgebuht.
Dennoch war Polen natuerlich nicht ganz uneigennuetzig. Das Quadratwurzelverfahren stellt Polen zwar schlechter als das Verfahren der doppelten Mehrheit. Dennoch stellt es Polen weniger schlechter als es Deutschland schlechter stellt. Damit wuerde Polen im Vergleich zu Deutschland Gewicht gewinnen, wenn statt der nun angestrebten doppelten Mehrheit das Quadratwurzelverfahren kommen wuerde. Kompliziert aber wahr!

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